junge Welt vom 28.05.2002
Ausland
Kartell des Schweigens
Was hat die US-Regierung im Zusammenhang mit den
Anschlägen vom 11. September zu vertuschen?
Rainer Rupp
Sowohl US-Präsident George Bush wie auch sein Vize Dick Cheney haben vor vier
Monaten unter großem persönlichen Engagement versucht, den Mehrheitsführer im
US-Senat, den demokratischen Politiker Tom Daschle, von seiner Forderung nach
einer unabhängigen Untersuchung über mögliche Versäumnisse der
US-Geheimdienste und der Bush-Regierung im Zusammenhang mit den Ereignissen des
11. Septembers abzubringen. In einem Interview in »Meet the Press« im
amerikanischen Nachrichtensender NBC am Sonntag widersprach Senator Daschle nun
öffentlich Cheney, den er damit indirekt der Lüge bezichtigte. Der Vizepräsident
hatte noch letzte Woche vehement abgestritten, daß er jemals Daschle vor einer
Untersuchung des 11. Septembers gewarnt hätte.
Cheney habe ihn - so Daschle - am 24. Januar angerufen, um ihn von seinem Plan
abzubringen. Präsident Bush habe ihn dann während eines Frühstückstreffens
im Weißen Haus am 28. Januar mit dem gleichen Anliegen bekniet. Auch zu späteren
Zeitpunkten hätten die beiden Regierungsvertreter immer wieder versucht, ihn
umzustimmen. Als Begründung für ihr Vorgehen hätten sowohl Cheney als auch
Bush »den Mangel an Personal« angeführt.
Erneut bekräftigte nun Daschle seine Absicht, eine unabhängige
Untersuchungskommission für den 11. September im Stil der Warren Commission
nach der Ermordung Kennedys einzusetzen. Da von Tag zu Tag mehr Pannen und grobe
Fehler von FBI und CIA öffentlich werden, mehren sich kritische Stimmen, die
sogar davon ausgehen, daß die Terrorangriffe hätten verhindert werden können,
wenn die Bush-Regierung verantwortlich gehandelt hätte.
Nicht verwunderlich, daß vor diesem Hintergrund das Weiße Haus derzeit alles
versucht, die tatsächlichen Umstände, die zum 11. September führten, im
dunkeln zu belassen. Inzwischen läßt auch Bushs Nationale
Sicherheitsberaterin, Condoleezza Rice, keine Gelegenheit aus, davor zu warnen,
daß Enthüllungen über die nachrichtendienstlichen Pannen lediglich dem
amerikanischen »Krieg gegen den Terror schaden« würden. Daher wollen Cheney
und Bush lediglich einer Untersuchung durch die beiden Geheimdienstausschüsse
des US-Kongresses zustimmen. In denen geben als hinzugezogene Experten sowohl
amtierende als auch ehemalige Geheimdienstler den Ton an. Außerdem bleiben die
Untersuchungen und deren Ergebnisse in der Regel geheim. Der republikanische
Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses und Bush-Freund Richard Armey aus
Texas forderte bereits, »hoch qualifizierte und professionelle Ermittler«
(also Mitarbeiter der Geheimdienste, die ihre Tätigkeit selbst prüfen sollen),
die »ihre Arbeit mit Patriotismus und Verantwortung erledigen« (also den
Anweisungen der Bush-Regierung Folge leisten) in die Untersuchungen der
Geheimdienstausschüsse einzubinden. Cheney betonte im Nachrichtensender »Fox«,
daß die Geheimdienstausschüsse große Erfahrung damit hätten, »geheime
Informationen auch geheim zuhalten«.
Inzwischen ist das FBI-Hauptquartier ins Zentrum der Kritik gerückt, weil dort
fast systematisch alle Warnungen im Vorfeld der Terrorattentate in den Wind
geschlagen worden waren, die von den Länderbüros des FBI eingegangen waren. So
weiß inzwischen die amerikanische Öffentlichkeit, daß Spezialagenten aus
Phoenix und Minneapolis vergeblich versucht hatten, das Hauptquartier in
Washington u.a. über ihre Erkenntnisse zu den Flugübungen junger Männer aus
dem Mittleren Osten an amerikanischen Flugschulen zu warnen. Inzwischen gibt die
Bush-Regierung zu, etwas, aber nur Ungenaues, gewußt zu haben. Sie räumt
allerdings nur ein, was sie auf Grund von Zeugenaussagen von FBI-Beamten nicht länger
leugnen kann.
* Informationen und Hintergründe zu diesem Thema dokumentiert Rainer Rupp in
dem kürzlich erschienenen Buch »Das Schweigekartell«. Kai Homilius Verlag,
zu bestellen im Buchhandel (ISBN: 3-89706-892-3)
oder per E-Mail an artra@web.de
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